Schmerzfrei durch Biokinematik (Teil III) – geschrieben für die österreichische Zeitschrift Pulsar von Ilona Kunzelmann (Ärztin) und Dirk Ohlsen (Heilpraktiker

Die Füße als tragendes Fundament des Körpers

Über die Therapieform der Biokinematik nach Walter Packi wurde in der Zeitschrift Pulsar bereits mehrfach berichtet. In dem vorerst letzten Teil der Serie (3/3) berichten die Therapeuten Ilona Kunzelmann und Dirk Ohlsen über ihre jahrelangen Erfahrungen mit der Methode und werden unseren Lesern die Behandlung bestimmter Schmerzerkrankungen erläutern.

Dieser Artikel widmet sich Schmerzen und Funktionsstörungen im Bereich des Fußes:

Die Biokinematik sieht die Funktionsfähigkeit der Fußmuskulatur als ein gewichtiges Element in der Behandlung und Prophylaxe von zahlreichen Schmerzproblemen und Arthrose. Darüber hinaus lassen sich beispielsweise die Neigung zu Krämpfen oder kalten Füßen sowie die Gangsicherheit positiv beeinflussen.

Ein aus unserer Sicht leistungsfähiger Fuß zeichnet sich durch drei Qualitäten aus: Kraft, Ausdauer und insbesondere Flexibilität. Vor allem letzteres geht im Laufe der Jahre bei den meisten Menschen zunehmend verloren. Ein einfacher Test ist hier das Barfußlaufen: Es sollte problemlos schmerzfrei auch über steinigere Untergründe möglich sein. Kinder können dies in Regel, während Erwachsene hier meist mit Schmerzen zu kämpfen haben. Dies ist ein erster Hinweis auf die im Alter zunehmende Funktionseinschränkung und Verkrampfung der Fußmuskulatur, die dann auch in ihrer Kraft und Ausdauer geschwächt ist. 

Die Ursache dieser Störungen liegt neben den stark einseitigen Tätigkeiten des Alltags insbesondere beim heute verbreiteten Schuhwerk. Während der Fuß mit seinen 26 Knochen, den Sprunggelenken und den Längs-/Quergewölben sich barfuß perfekt an den jeweiligen Untergrund anpassen könnte, wird er heutzutage durch Absätze, Fußbett und eventuell Einlagen massiv darin gehindert, seine Arbeit biologisch korrekt zu verrichten. In früheren Zeiten bewegte sich der Mensch zudem auf sehr variantenreichen, unebenen Untergründen – eine gewünschte Abwechslung für die Muskeln der Füße die hier richtig gefordert und beweglich gehalten wurden. Heute stellt man therapeutisch fest, dass die meisten Füße starr und unbeweglich geworden sind, während die Untergründe meist eben und hart sind.

Um dieses Problem zu lösen, insbesondere beim Laufsport, setzt die Schuhindustrie zur Abhilfe gerne Schaumgummistoffe ein, um den Gang zu dämpfen. Physikalisch betrachtet ist dies unsinnig, da durch die Dämpfung Energie verloren geht. Doch viele Ausdauersportler/Läufer können gar nicht mehr anders, als mit Einlagen und Dämpfung zu laufen, weil sie sonst schnell Waden- oder Fußprobleme (auch Fersensporn/Beschwerden im Achillessehnenbereich) bekommen. Sie kompensieren auf diese Weise die bestehenden muskulären Funktionsdefizite, weichen so der normalen Fußbelastung aus und verlagern das Problem damit oft tendenziell weiter nach oben in Richtung Knie und Hüfte. Das Ganze geht oft lange Zeit gut, bis das System komplett zusammenbricht und in manchen Fällen sogar der Laufsport nicht mehr ausgeübt werden kann.

Dies alles ist vermeidbar. Hierfür sollten die Füße mit Hilfe geeigneter Übungen wieder funktionsgerecht umtrainiert werden. Das Therapiekonzept der Biokinematik leistet dies auf eine effektive Weise. Das Training kann durchaus einige Wochen bis Monate in Anspruch nehmen und wird im Regelfall von Erfolg begleitet werden. Manchmal müssen auch weitere Muskeln mit in das Training mit einbezogen werden, damit die Flexibilität und die damit verbundene körpereigene, muskuläre Stoßdämpfung im Fußgewölbe, Sprunggelenke, Knie und Hüfte wieder perfekt harmonisiert wird. So haben beispielsweise ein großer Teil der Zehen- und Fußmuskeln ihren Ursprung und Muskelbauch im Bereich des Unterschenkels.

Funktionsgerechtes Training bedeutet auch eine Gangschulung, d.h. ein Gehen, wie es von der Evolution her vorgesehen ist. Von der Natur her sind die meisten Säugetiere, aber auch die Menschen, Vorfußläufer. Dies macht Sinn, denn der vordere Teil des Fußes ist weich / beweglich und kann sich so dem Untergrund hervorragend anpassen. Der hintere Teil des Fußes, die Ferse, ist dagegen mehr oder weniger ein Knochen, der hart auf dem Boden aufkommt. Deshalb ist auch das immer wieder empfohlene und gelehrte „Abrollen“ des Fußes genau das Gegenteil von dem, was der Fuß von seinen Eigenschaften her machen soll – hier wird sich mit der Ferse nach vorne gezogen, wodurch die Muskeln der Beine vollkommen falsch belastet werden. Dies kostet mehr Kraft und führt auf Dauer zu muskulären Einschränkungen/Schmerzen. Es versteht sich von selbst, dass ein biologisch vollkommen korrekter Gang bei allen Schuhen mit Absätzen (dazu gehören auch Herrenschuhe) nicht möglich ist, da durch den Absatz immer die Ferse zuerst aufkommt.

Darüber hinaus sollten die Zehen bei jedem Schritt aktiv eingesetzt werden – sonst verzichtet man auf einen Großteil seiner potentiellen Kraft und verkürzt den Hebelarm des Fußes enorm. Zu was ein funktionsgerechter Fuß in der Lage ist, zeigte der Athlet Abebe Bikila 1960 in Rom bei einem Marathonlauf, den er in 2:15 Minuten BARFUSS gewann. Insofern empfehlen wir, möglichst viel barfuß oder mit den neuerdings erhältlichen Barfußschuhkonzepten zu laufen. Vor allem im Sommer lohnt auch das regelmäßige Laufen über abgerundete Kieselsteine in Seen oder Flüssen, um die Fußsohle zu entkrampfen oder locker zu halten. Anfangs schmerzhaft, aber mit großem Nutzen. In vielen Fällen gehört auch die Neigung zu kalten Füßen der Vergangenheit an, da eine lockere Fußmuskulatur die Zirkulation in den Blutgefäßen erleichtert.

Abschließend noch kurz unsere Sichtweise zu einem bei Frauen stärker verbreiteten Beschwerdebild:

Hallux Valgus

Hiermit ist der Schiefstand des Großzehs gemeint, der meist mit einer knöchernen Verdickung im Bereich des Großzehengrundgelenkes einhergeht. Wir sind der Auffassung, dass diese Auswirkungen Anpassungsreaktionen auf die veränderte Biomechanik darstellen. Aufgrund von Funktionsstörungen der Großzehenmuskulatur, vor allem Verkürzung des sogenannten Heranzieher des Großzehs (m.adductor hallucis longus), wirken andere Zugkräfte im Gelenk und resultieren in einer Verstärkung des Knochens; der Körper baut Substanz an. Der Zeh wird immer mehr nach innen (in Richtung zweite Zehe) ausgelenkt und über Jahre regelrecht in eine Fehlstellung hinein trainiert. Die sichtbaren Verdickungen am Gelenk sind eine Art Schutzmechanismus, damit der Großzeh nicht aus der Gelenkpfanne springen kann, wenn er sich immer weiter zur Seite neigt. Frauen sind aufgrund des Schuhwerks häufiger betroffen, denn dieses ist oftmals über viele Jahre hinweg vom zu HOCH (Absätze), zu ENG und zu KURZ.

Neben zunehmenden Druckstellen am Überbein des Großzehengrundgelenks können durch die dauerhafte Fehlfunktion und Fehlbelastung auch chronische Schmerzen hinzukommen.

Doch es gibt spezifische biokinematische Übungen, mit denen die Großzehenmechanik korrigiert werden kann. Sie erfordern einen gewissen Fleiß, können in der Anfangsphase die Veränderungen wieder rückgängig machen, bei fortgeschrittenem Stadium immerhin aufhalten.

Auch die „klassische“ Orthopädielehre erkennt zunehmend an, dass dieses Problem primär muskulärer Natur ist. Dennoch wird diese Symptomatik auf viele verschiedene Arten meist noch operativ angegangen. Wir raten von derartigen operativen Eingriffen grundsätzlich ab, da sie nicht an den Wurzeln des Geschehens eingreifen und die Fußmechanik/Bodenkontakt meist unwiderruflich verändern. Die nach wie vor weiter bestehenden muskulären Störungen im Fußbereich ziehen dann häufig zusätzliche Symptome im Bereich Knie, Hüfte oder Rücken nach sich. Eine frühzeitige Prophylaxe zur Verhinderung der Entstehung des Hallux Valgus ist daher sehr empfehlenswert.

Fazit:

Der Fuß ist das tragende Fundament des Menschen. Jede Körperbewegung muss im Stand zum Erhalten des Gleichgewichts in der Fußsohle gegenreguliert werden. Daher sind die über 30 Muskeln im Fuß von wirklich besonderer Bedeutung und sollten gepflegt werden. Ihre Gesundheit wird es Ihnen danken.

Sollten Sie die Leistungsfähigkeit ihrer Zehen selbst auf einfache Art und Weise überprüfen wollen, so finden Sie hier eines der Übungsvideos unseres Biokinematik-Trainings.