Schmerzfrei durch Biokinematik (Teil IV) – geschrieben für die österreichische Zeitschrift Pulsar von Ilona Kunzelmann (Ärztin) und Dirk Ohlsen (Heilpraktiker

Knieprobleme und Muskelfunktionsstörungen

Über die Therapieform der Biokinematik nach Walter Packi wurde in unserer Zeitschrift bereits mehrfach berichtet. In einer neuen Serie berichten die Therapeuten Ilona Kunzelmann und Dirk Ohlsen über ihre jahrelangen Erfahrungen mit der Methode und werden unseren Lesern die Behandlung bestimmter Schmerzerkrankungen erläutern.
Dieser Artikel widmet sich Schmerzen und Funktionsstörungen im Bereich des Knies.

Die biokinematische Vorgehensweise bei Knieproblemen

Veränderungen am Knorpel und Gelenk / Kniearthrose

Aus unserer Sicht führt in den meisten Fällen erst die jahrelange Fehlbelastung und Fehlfunktion des Kniegelenks nachfolgend zu Veränderungen, die beispielsweise radiologisch als Schaden sichtbar werden. Doch grundsätzlich hat der Körper die Fähigkeit derartige Veränderungen auch wieder zu beheben – je früher, umso leichter. Dies gilt insbesondere auch für die Arthrose (Knorpelschwund), bei der durch mangelnde vollumfängliche Kniebeweglichkeit (u.a. Beugung/Streckung) der Knorpel durch Minderbelastung abstirbt. Grundvoraussetzung für eine wirkliche Heilung ist hier die volle Wiederherstellung der Kniebeweglichkeit und der Funktion der knieführenden Muskulatur. Schmerzen lassen sich so im Regelfall durchaus zügig in Griff bekommen – für die Heilung größerer Veränderungen muss der Patient jedoch oft Geduld und konsequenten Übungsfleiß aufbringen. Auch wenn es im Einzelfall keine Alternative zu einer Gelenkprothese mehr zu geben scheint, konnten wir in nicht wenigen Fällen in der Praxis zeigen, dass von ärztlicher Seite dringend angeratene Knieersatz-Operationen so durchaus vermeidbar waren. Grundsätzlich kann zudem der Versuch, über die biokinematische Therapie der Muskel-Faszien-Systeme das Geschehen zu beeinflussen, nicht schaden. Dagegen lässt sich eine Gelenkersatz OP nicht rückgängig machen und in zahlreichen Fällen haben diese Menschen dann oft immer noch (vermeintliche) Knieschmerzen, obwohl das natürliche Gelenk nicht mehr vorhanden ist. Die Bewegung schmerzt, nicht das künstliche Gelenk. Ein weiterer Beweis, warum die Kniemuskulatur der häufigste Verursacher von Schmerzen in diesem Bereich ist.

Meniskusschmerzen

Bei den Menisken handelt es sich um zwei halbmondförmige Gebilde aus Knorpelmaterial, die eine wichtige Funktion für die Bewegung des Knies haben. Die jeweils richtige Position der Menisken beim Bewegen des Beines wird durch die Kniemuskulatur mit gewährleistet. Falls nun beispielsweise über Jahre hinweg diese Muskeln zunehmend verspannen und verkürzen, wird die Führung des Meniskus während einer Bewegung zunehmend ungenauer. Irgendwann ist dieser dann möglicherweise zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Er wird dann eingeklemmt und kann hierbei verletzt werden. Derartige Probleme haben – von bestimmten akuten Verletzungen abgesehen – daher meist eine lange muskuläre Vorgeschichte, die in der medizinischen Lehre derzeit noch weitgehend keine Berücksichtigung findet. Hier wird sich meist nur auf den aktuellen „Schaden“ fokussiert. Obwohl eine Meniskus-OP im Einzelfall sinnvoll sein kann, ist diese nicht immer erforderlich. Denn falls der Meniskus therapeutisch wieder aus seiner misslichen Lage befreit werden kann, wird der Körper ihn oft wieder selbstständig heilen. Hier sind uns zahlreiche Fälle aus der Praxis bekannt, bei denen eine vollständige Heilung ohne Operation stattgefunden hat. Selbstverständlich ist hier ein abgestimmtes Vorgehen mit dem behandelnden Orthopäden nötig, da vorab (u.a. radiologisch) sichergestellt werden muss, dass keine weiteren  Verletzungen (wie freie Knorpelanteile, Brüche etc.) vorliegen.

Aus biokinematischer Sicht gibt es jedoch keinen „Meniskusschmerz“. Grund der mit dieser Thematik verbunden Schmerzen ist nicht der Meniskus selbst, sondern die wahrgenommene Funktionseinschränkung der Beinbewegung. Diese wird dem Körperbewusstsein über Messfühler in den Muskeln und Sehnen mitgeteilt (Propriozeption). Es interpretiert diese Daten und quittiert sie gegebenenfalls mit Schmerzen, um beispielsweise eine Überbelastung/Verletzung zu verhindern und den Betroffenen in eine Schonhaltung zu zwingen. Der Meniskus selbst schmerzt hierbei nicht, denn er hat keine Möglichkeit elektrischer oder chemischer Art (Schmerzbotenstoffe) entsprechende Reize auszusenden. Insofern ist der Ausdruck „Meniskusschmerz“ irreführend. Dies erklärt auch, warum zahlreiche Menschen Schmerzen im Bereich des Meniskus ohne „Diagnose eines Schadens“ haben und die Schmerzstelle oft mehrere cm entfernt vom Meniskus gefühlt wird.

Der Schmerz lässt sich häufig auch leicht reproduzieren bzw. auch bei “Gesunden” auslösen, wenn die Oberschenkelmuskulatur biokinematisch in ihren Grenzbereichen getestet und beübt wird.

Unabhängig von eventuellen Meniskusverletzungen wird bei chronischen Knieschmerzen deshalb der Funktionszustand der Muskulatur, hier insbesondere die Oberschenkelmuskulatur, zum Ziel einer biokinematischen Therapie. Es zeigt sich, dass vor allem Leistungssportler in diesem Bereich häufig schon starke Beweglichkeitsdefizite aufweisen. Deshalb treten Knieprobleme hier bereits in früheren Lebensaltern auf. Menschen, die weniger Sport treiben, bekommen diese Schmerzen – falls überhaupt – eher im Alter. Ein Grund hierfür liegt beispielsweise in einer „Einsteifung“ durch beständiges Sitzen.

Sofern es mit geeigneten Körperübungen gelingt, die Muskulatur wieder frei beweglich und harmonisch innerhalb der Muskelketten arbeiten zu lassen, verschwinden chronische Schmerzprobleme meist innerhalb kurzer Zeit. Dies kann der Betroffene selbst mittels eines Trainings erreichen, bei dem die entsprechenden Umbaureize gesetzt werden. Anschließend sollten zusätzliche Beweglichkeitsreserven geschaffen werden, damit die Probleme anschließend nicht wieder kommen. Es handelt sich hierbei keinesfalls um Krafttraining – denn dieses hat die entsprechenden Beschwerden meist erst begünstigt. Stattdessen ist die funktionsgerechte Veränderung der Muskelfaszien mit den speziellen Übungen der Biokinematik das Ziel. Muskeln sind aktive Gebilde, bei denen sich zum Beispiel unbeweglich gewordene Sehnenanteile wieder teilweise in bewegliche Muskelfaserstrukturen umwandeln lassen.

In der medizinischen Lehre wird die Bedeutung der Muskulatur bei chronischen, unspezifischen Schmerzen tendenziell unterschätzt. Häufig stehen vor allem Knochen, Knorpel, Sehnen und Bänder im Mittelpunkt orthopädischer Betrachtungen. Hierbei scheint übersehen zu werden, dass Knochen- und Knorpelmaterial sich erst durch den Druck muskulärer Zugkräfte aufbaut und Gelenke vor allem dann überbelastet werden, wenn die Geometrie der muskulären Führung gestört ist. Insofern ist der Meniskus in der Regel nicht Ursache von Schmerzen, sondern als der „Leidtragende“ einer Störung in der Funktion der Beinmuskulatur anzusehen. Diese zu beheben, sollte bei derartigen Problemen oberstes Ziel sein und ist meist über die Biokinematik wirksam möglich. Sofern der natürliche Funktionszustand der Muskulatur schon im Vorfeld durch köperbewusstes Verhalten aufrechterhalten wird, wird die Verletzung eines Meniskus auch zunehmend unwahrscheinlicher. Bei etwaigen Unfällen hätte der Körper zudem einen größeren Bewegungsraum, um körperlichen Schaden besser abwenden zu können. Verstauchungen, Überdehnungen oder Verdrehungen werden damit automatisch seltener.

Grundsätzlich gilt das ausgeführte auch für Schmerzen, die im Bereich der Kniescheibe (u.a. Patellaspitzensyndrom , retropatellare Chondropathie etc.) entstehen.

 

Sollten Sie ein exemplarisches Beispiel der speziellen Biokinematik Übungen aus unseren Trainings-Workshops suchen, so finden Sie hier eines der Übungsvideos des Biokinematik-Trainings.