Muskelfunktion und Beweglichkeit

Unbeweglichkeit und Einschränkungen im Zusammenspiel der Muskulatur sind eine der häufigsten Ursachen für chronische Schmerzen. Dies gilt prinzipiell für alle Körperbereiche und schließt Meniskus-/Bandscheibenprobleme oder Kopfschmerzen mit ein. Meist finden sich hier verspannte Muskelstrukturen, die am Ende die Ursache der Probleme darstellen.  Zudem können bestimmte innere Erkrankungen von einem zu hohen Muskeltonus ausgelöst oder verstärkt werden.

Einer der größten Unterschiede zwischen jungen und älteren Menschen ist das Ausmaß der Beweglichkeit. Sind hier irgendwann zwischen 50-75% der Maximalbeweglichkeit verloren gegangen, dann gibt es Probleme. Am deutlichsten zu sehen bei der Rückneigefähigkeit im Stehen – Das Ergebnis jahrelangen Sitzens.

Viele meiner „sportlichen“ Patienten haben über Jahre hinweg gedehnt oder gestretcht und müssen oft dann mit Überraschung feststellen, dass in einigen Körperbereichen die Beweglichkeit stark reduziert ist. Dies gilt insbesondere für den Becken-und Oberschenkelbereich, der durch sitzende Tätigkeit heutzutage auf eine Art belastet wird, die nicht seiner Funktion entsprechen. Von der Bauweise ist der Mensch für den aufrechten Gang konzipiert und übertrifft in der Leistungsfähigkeit und Ausdauer (nicht Endgeschwindigkeit) die vierbeinigen Säugetiere.

Warum kann Dehnen oder Stretching nicht beweglich machen?

Derartige Techniken können bestenfalls die Beweglichkeit aufrecht erhalten. Wer also bereits früh auf die Beweglichkeit achtet, der wird vermutlich wenig Probleme bekommen. Aber wenn bereits Verkürzungen der Muskelfaserbündel manifest sind, dann bedarf es eines aktiven Muskeltrainings, um wieder beweglich zu werden.

Ein kurzer Ausflug in meine Jugend:

Beim wöchentlichen Judotraining mussten wir immer einige Minuten im Fersensitz vor dem Trainer sitzen. Dies war für mich bereits damals extrem schmerzhaft, v.a. im Bereich des Fußes (Spann). Ich versuchte diesen Bereich über Jahre hinweg zu dehnen, aber es blieb schmerzhaft. Trotz jahrelangem Fersensitztraining beim Judo wurde ich einfach nicht beweglicher. Damals war vermutlich schon die Grundlage für meine späteren Rückenprobleme gelegt gewesen – Radsport tat ein übriges dazu.  Erst etwa 15 Jahre später erlernte ich om Rahmen meiner eigenen Bandscheibenvorfalltherapie dann die sehr speziellen Übungen des Freiburger Arztes Walter Packi (Biokinematik) und konnte die muskulären Beweglichkeitseinschränkungen dann (erstaunlicherweise) binnen Wochen wegtrainieren. 

Der große Unterschied beim Muskeltraining liegt in der Art der Belastung des Muskels. Während er beim Dehnen lediglich passiv lang gezogen wird, wird der Muskel beim Biokinematik Training maximal lang bewegt und dann aktiv belastet. Wie eine Teleskop-Stange, die auf 100 % ausgezogen wird und dann in ihrer maximalen Länge arbeiten muss. Der Unterschied wird auch schnell spürbar. Während Dehnen über Minuten ausgeübt werden kann, ermüdet man bei der Biokinematik i.d.R. binnen Sekunden bis zu ca. maximal 3 Minuten.
Es ist anstrengend, weil die Muskulatur an ihre Grenzen gebracht wird. Sie hat in dieser Endstellung bauartbedingt nur wenig Kraft und kann daher sehr schnell ermüdet werden. Der Vorteil ist ein sehr effektiver und schneller Umbau des Körpers.

Durch das Training wird ein Umbaureiz gesetzt, der die Muskulatur zum Wachstum anregt. Ein Wachstum, bei dem neue Muskelmoleküle (Sarkomere) seriell hintereinander in die Muskelfasern eingebaut werden. „Technisch“ ist damit eine Rückumwandlung von Sehnenteil in Muskelanteil (bildhaft: weiss wird rot) verbunden. Der damit verbundene Muskelkater ist oft sehr intensiv, vergleichbar mit meist stärkerem Muskelkater beim Bergab-Wandern (Vom Prinzip her wird der vordere Oberschenkel hier zeitweise in maximaler Länge belastet).

Dehnen birgt aber auch eine große Gefahr. Durch den sogenannten Muskelspindelreflex kann das den Muskel durchziehende Bindegewebe bei zu großer Dehnungsaktivität blitzschnell aktiviert werden und verhärtet sich binnen Millisekunden zu einer nicht mehr beweglichen Struktur. Dieser Effekt ist u.a. für Schleudertraumen zuständig, unter den Betroffene dann oft jahrelang leiden können.  Dehnnen ist keine muskuläre Arbeit, sondern im Prinzip eine Bindegewebsmanipulation ohne aktive Beteiligung der Muskelmoleküle. Solange ein Therapeut dann nicht weiß, wie diese Anspannung des Bindegewebes gelöst werden kann,  wird der Betroffene die Bewegungseinschränkungen behalten. Da das Bindegewebe ein Vielfaches an Kraft der Muskelfaser hat, können diese Verhärtungen große Ausmaße annehmen und viele Körperfunktionen durcheinander bringen. Selbstverständlich sind mir viele „wissenschaftliche“ Dehnungstechniken bekannt, die Bücherregale füllen – aber heute halte ich das für einen großen Irrweg der Sportmedizin. Die Praxiserfahrungen lassen nur diese Schlußfolgerung zu und auch die offizielle Sportwissenschaft scheint dies langsam zu erkennen.

Ich selbst habe mich vor rund 10 Jahren –  gewissermaßen euphorisiert von meiner damaligen Gesundung nach dem Bandscheibenvorfall – im Rahmen einer „Forschung Biokinematik“ öfters selbst übermäßig gedehnt und die dann eintretenden Schmerzeffekte an meinem Körper beobachtet. So lernte ich eine Vielzahl von unterschiedlichen Schmerzen kennen, wusste aber glücklicherweise auch, wie ich diese innerhalb kürzester Zeit wieder beheben konnte. Heute bin ich sicher, dass man mit gezielten Überdehnungen wie auf Knopfdruck chronische Schmerzen hervorbringen kann.

Daher meine Empfehlung:

Dehnen und Stretchen aufhören, zugunsten eines echten Beweglichkeitstrainings und die Veränderungen innerhalb von Wochen spüren. Über Jahre hinweg habe ich „noch bessere“ Übungen, als die von Walter Packi gesucht, aber nicht finden können.  So wie mir geht es auch meiner Kollegin Ilona Kunzelmann (Ärztin), mit der ich regelmäßig Seminare durchführe. Wir sind beide von dem Konzept der Biokinematik über viele Jahre überzeugt worden und sehen die Erfolge bei den Patienten, die manchmal schon jahrelang unter Schmerz gelitten haben. Das Training ist prinzipiell für alle Alterstufen geeignet.

Ein kurzes Wort noch zum Thema Yoga:

Nach altindischer Tradition ist Yoga ein spiritueller Einweihungsweg, zu dem auch – aber nicht nur – Körperübungen gehören. Körperliche Einschränkungen werden hier mit inneren Einschränkungen zusammengebracht und richtig durchgeführt kann dies von großem Nutzen sein. In der westlichen Welt wird dieses Konzept aber weitgehend missverstanden und viele der angebotenen Yoga-Kurse verspannen die sowieso verspannten Menschen nur noch mehr. Insbesondere, weil viele Übungen nach vorne in die Verkürzung gehen – faktisch Sitzen 2.0. Nicht wenige Patienten haben mich zu dieser Sichtweise veranlasst, die sich durch falsch verstandenes „Yoga-Beweglichkeitstraining“ am Ende unbeweglicher trainierten und daher Schmerzen bekamen.

Ich hoffe, dass ich mit diesen Ausführungen ein wenig Klarheit in die mir oft gestellte Frage gebracht habe, was denn der Unterschied zwischen Dehnen und dem Beweglichkeitskonzept der Biokinematik ist. Ausführlich ist dies auch in den Büchern „Ganzheitliche Heilkunde für Körper, Geist und Seele“ sowie „Schmerzfrei durch Biokinematik beschrieben, die auch als E-Books erhältlich sind.