Körperliche Beweglichkeiten / Selbsteinschätzung

An dieser Stelle soll dem Leser die Gelegenheit gegeben werden, mögliche Beweglichkeitsdefizite selbst zu erkennen. Hier dürfte der Grund für möglicherweise bestehende chronische muskuläre Schmerzprobleme oder eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Körpers zu suchen sein.

Grundsätzlich gilt, dass eine große Beweglichkeit im Alltag und beim Sport große Vorteile bietet und nicht – wie oft behauptet – mit Risiken verbunden ist. So ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für größere Verletzungen bei einem Unfall erheblich reduziert. Zudem wird die Arbeitsfähigkeit der Muskulatur optimiert, da diese sich physikalisch aus dem Produkt von Kraft x Weg ergibt. Die Wiederherstellung der Beweglichkeit ist grundsätzlich bis ins hohe Alter trainierbar.

Exemplarisch werden einige wichtige Varianten der Beweglichkeit des Unterkörpers herausgegriffen. Gezeigt werden sowohl das ungefähre Maximum wie auch das Minimum für eine aus therapeutischer Sicht wünschenswerte Beweglichkeit, bei der im Regelfall dann Schmerzfreiheit und Leistungsfähigkeit besteht.

Grundsätzlich kann man diese Beweglichkeitstests für jedes Gelenk durchführen. In der Biokinematik sind diese Tests ein wichtiger Bestandteil der Erstuntersuchung aus der sich das therapeutische Vorgehen ableiten lässt.

Wir sind uns bewußt, dass diese Beweglichkeitstests seit Jahrzehnten bekannt sind. Nur stellen wir leider fest, dass diese Beweglichkeiten üblicherweise heute nicht mehr beim Arzt getestet werden. Offensichtlich bestehen hier Defizite um das Wissen, wie wichtig die Beweglichkeit für das korrekte Funktionieren des Körpers ist. Für uns sind Tastbefund (Palpation) und Beweglichkeitstests die wichtigste diagnostische Wahl bei der Beurteilung von Muskel- und Faszienstrukturen. Radiologische Bildgebung gibt keine ausreichende Antwort über den Funktionszustand der Muskulatur.

Rückneigefähigkeit / Reklination

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Diese Beweglichkeit ist eine der wichtigsten und geht beim modernen Menschen durch sitzende Tätigkeit häufig am meisten verloren. Dieser Test umfasst muskulär praktisch die gesamte Körperlänge auf der Vorderseite. Leider wird diese Beweglichkeit orthopädisch meist nicht getestet und oftmals den Patienten mit Rückenbeschwerden regelmäßig sogar verboten. Letztendlich entspricht Sie dem Winkel, mit dem das Bein nach hinten in Schrittstellung gebracht werden kann.

Viele Patienten haben diese Rückneigefähigkeit faktisch komplett verloren und sind vollkommen steif. Das ist die Erklärung für viele chronische Beschwerden, insbesondere im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und Ausstrahlungen im Bereich des Oberschenkels hinten und außen. Auch die Bandscheiben leiden enorm unter einer starren Fixation bei fehlender Beweglichkeit.

 

Möglicherweise könnte man diesen Beweglichkeitstest heutzutage als den Wichtigsten überhaupt einschätzen. Defizite in diesem Bereich erklären häufig vielfältige, sehr häufige Schmerzprobleme orthopädischer Natur im Bereich des Unterkörpers. Daher ist diese Beweglichkeit von so großer Bedeutung und muss gewürdigt werden.

 

Vorbeugefähigkeit

vorbeuge_maxvorbeuge_minDie Vorbeuge ist bei vielen Menschen häufig eingeschränkt, insbesondere durch Verkürzungen im Bereich der hinteren Oberschenkelmuskulatur. Dieser Test umfasst muskulär einen großen Teil der Körperlänge auf der Rückseite. Besonderes Augenmerk liegt hier auf der vollen Durchstreckfähigkeit (> 180 Grad) im Bereich der Kniegelenke. Zudem ist die Arbeitsfähigkeit der Zehenbeugermuskulatur wichtig, die das untere Ende dieser Muskelkette darstellt.

Einschränkungen sind hier meist durch sitzende Tätigkeit, ungeeignetes Schuhwerk und einseitige sportliche Aktivitäten (z.B. Radfahren) entstanden. Auswirkungen sind oftmals im Bereich der Knie und des Beckens / untere Lendenwirbelsäule zu spüren.

 

Aktive Schrittlänge

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Die Kombination sowohl der Verbesserung der Rückneige- als auch der Vorneigefähigkeit im Becken führt physiologisch zu einer Verlängerung der aktiven Schrittlänge. Beide Beweglichkeiten sind für den aufrechten Gang mit möglichst großen Schritten von zentraler Bedeutung. Unabhängig vom Verschwinden vieler Schmerzprobleme steigt mit zunehmender Beweglichkeit die sportliche Leistungsfähigkeit, z.B. bei Laufsportarten stark an.

 

Innenrotation Bein

innenrotation_maxinnenrotation_minDie Innenrotationsfähigkeit der durchgestreckten Beine hat eine große Relevanz für die Gesundheit der Knie- und der kugelförmigen Hüftgelenke. Beteiligt sind hier zahlreiche Muskeln des Beines, die über Jahre hinweg meist durch Unfälle und einseitige Tätigkeiten einsteifen / verkürzen.

Bei vielen älteren Menschen ist diese Beweglichkeit überhaupt nicht mehr vorhanden und ist neben Schmerzproblemen und einem grobmotorischem Gang heutzutage einer der Hauptgründe für die Arthrose (Knorpelschwund) mit der Folge vieler Hüftgelenksersatz Operationen.

 

Außenrotation Bein

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Die Außenrotation der durchgestreckten Beine hat ebenfalls eine große Relevanz für die Gesundheit der Knie- und der kugelförmigen Hüftgelenke.

Beteiligt sind hier ebenfalls zahlreiche Muskeln des Beines, die über Jahre hinweg meist durch Unfälle und einseitige Tätigkeiten einsteifen / verkürzen.

Einschränkungen wirken sich auch hier über einen grobmotorischen Gang, Schmerzprobleme bis hin zu Arthrose im Bereich dieser Gelenke aus.

Abspreizfähigkeit der Beine / Adduktorengruppe

abduktion_maxabduktion_minDie Abspreizfähigkeit der Beine ist vor allem ein Beweglichkeitstest der auf der Beininnenseite liegenden Adduktoren-Muskeln. Während der Seitwärts-Spagat etwa das mögliche Maximum darstellt, ist die Hälfte davon als Beweglichkeit wünschenswert.

Neben Schmerzproblemen insbesondere im Bereich der Hüfte und der unteren Wirbelsäule ist diese Beweglichkeit auch zur Vermeidung der Hüftarthrose überaus wichtig. Sie ist bei Patienten oftmals nicht ausreichend vorhanden und beispielsweise meist der Grund für die häufigen Adduktorenprobleme bei Profi-Fussballern. Eine Minderbeweglichkeit macht dann meist auch Schmerzen auf der Außenseite des Beines und im Bereich der seitlichen Hüfte (der typische Hüftschmerz).

Achillessehnenbereich / Wade

wade_maxwade_minDie Beweglichkeit der Wade ist von großer Bedeutung, wenn es um Schmerzprobleme im Bereich des hinteren Unterschenkels und der Fußsohle geht. Hier finden sich häufig die Ursachen von typischen Erkrankungen der Läufer, die meist zu Unrecht der Achillessehne oder fälschlicherweise einem diagnostizierten Fersensporn zugeschrieben werden.

Viele Patienten haben hier Einschränkungen, die besonders durch das Tragen von Schuhen mit Absätzen begünstigt werden. Auch Einlagen oder gedämpfte (High-Tech) Sportschuhe mit unflexibler Sohle tragen besonders bei Sportlern sehr stark zu muskulären Funktionsdefiziten bei.

Therapeutische Bedeutung hat die gesamte Muskellänge – angefangen von der Wade, über die Fußsohle bis in den Bereich der Funktionsfähigkeit einzelner Fußzehen.

 

Weitere Bereiche folgen . . . .

 

Diese Beweglichkeits- und Funktionstest können praktisch für jedes einzelne Gelenk durchgeführt werden.

Finden sich hier größere Defizite, dann ist der diagnostische Zusammenhang zu chronischen Schmerzerkrankungen und Beschwerdebildern vor allem der Orthopädie sehr wahrscheinlich. Zudem kann eine Fehlfunktion der körperlichen Bewegungsfunktion eine Reihe von weiteren Krankheitssymptomen – auch an Organsystemen – nach sich ziehen, die sich nicht primär in Schmerz äußern. Viele sinnvolle Zusammenhänge in Bezug auf Wirbelsäulenfehlfunktionen haben Chiropraktiker durch praktische Erfahrungen in den vergangenen Jahrzehnten bereits herausgearbeitet.

Die Biokinematik sieht diese Bezüge zwischen Wirbelkörpersegment und möglicher Organstörung ebenfalls als zielführend an, wobei das häufige „Einrenken“ weniger sinnvoll erscheint, als an der muskulären Spannung über ein Umtrainieren des Körpers über Körperübungen zu arbeiten. So wird man selbst wieder Meister über seinen Körper – ohne in eine dauerhafte therapeutische Abhängigkeit zu geraten. Die Erfahrung zeigt, dass mit Hilfe der biokinematischen Übungen ein Körper mit etwas Fleiß normalerweise binnen Wochen erheblich beweglicher trainiert werden kann (serielles Sarkomer Wachstum / Längentraining). Dagegen stellen jegliche Dehnungsübungen (mit welchen Techniken auch immer) stellen aus unserer Sicht kein zielführendes Training dar – im Gegenteil haben Sie meist sehr unangenehme Folgen für Menschen mit bereits erworbenen Muskelfunktionsstörungen. So die Einschätzung nach der Erfahrung von vielen Jahren Schmerztherapie Behandlungen in der Praxis und meist auch leicht nachvollziehbar beweisbar im Einzelfall. Mittels Dehnungsübungen ist es prinzipiell möglich, sich vielfältige chronische Schmerzen in den Körper zu installieren. Daher lehnen wir diese passiven „Zerrungstechniken“ mit Krafteinsatz rundum ab.

Leider lässt sich derzeit feststellen, dass eine Sensibilisierung des Medizinsystems für muskuläre Funktionsstörungen kaum gegeben ist. Daher werden Patienten therapeutisch zu selten in Bezug auf Beweglichkeit und Muskelfunktion untersucht – wenn überhaupt, leider meist nur auf die vorhandene Kraft. Diese ist aber in Bezug auf die muskulär verursachten Krankheitssymptome eher unwichtig.

Insofern ist zu hoffen, dass diese Ausführungen mittelfristig zu einer erfolgreichen Vertiefung der medizinischen Diagnostik zum Wohle der Patienten führen werden.